Traubensaft & andere Sirupe als Trachtquelle für Bienen?

Dr. Florian Wöll

Autor: Dr. Florian Wöll

Über den Autor: Dr. Florian Wöll ist Apotheker, promovierter Naturwissenschaftler, Erwerbsimker und Gründer der Imkerei- und Apitherapie-Manufaktur Bienenherz® in Thüringen. Mit einer außergewöhnlichen Kombination aus wissenschaftlicher Präzision und imkerlicher Leidenschaft entwickelt er hochwertige Bienenprodukte – von Propolis und Gelée Royale bis hin zu naturbasierter Dermokosmetik. Als Experte für Gesundheitsprodukte aus dem Bienenstock vereint er fundiertes Fachwissen mit einem tiefen Verständnis für Naturprozesse. Mehr als 150 eigene Bienenvölker versorgen ihn mit Rohstoffen erster Güte, die er mit größter Sorgfalt und ökologischer Verantwortung verarbeitet. Sein Motto: „Nur was wir selbst ernten und kennen, verdient unser Vertrauen.“

Letzte Aktualisierung: 08.08.2025

Verfasst unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Standards. Erfahre mehr über Bienen.info

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Frage von Joly: 
Vor meinem Umzug stand mein Bienenvolk direkt unter einem Weinstock, der nie beschnitten wurde und entsprechend groß war. Im Herbst fuhr ich in den Urlaub und die Bienen haben in dieser Zeit den Traubensaft gesammelt und bei sich eingelagert. Der Honig war echt irre. Geschmacklich war der rote Traubensaft herrlich ausgebildet. Heute habe ich keinen Weinstock mehr und bedauere diese Honigvariante nicht mehr ernten zu können. Kann man Traubensaft frisch gepresst nutzen? Eventuell aufgezuckert ? Wie sieht es mit selbst gemachtem, gekochten und eingezuckerten Sirup aus? Zuckerwasser als Winterfutter soll ja für Bienen giftig sein, wenn die Temperatur zu hoch ist. Falls die kochende Variante der Sirupherstellung möglich ist, würde ich auch gerne mal den Ingwersirup der beim Ingwereinkochen entsteht testen wollen. Haben Sie dazu Kenntnisse, Erfahrungen oder entsprechende Links.

Vielen Dank im Voraus.


Antwort vom Bienenexperten:

Hallo Joly,
Vielen Dank für Deine spannende Frage und Dein Vertrauen in bienen.info!
Du hast da eine wirklich außergewöhnliche Beobachtung gemacht – und sie zeigt, wie faszinierend und flexibel das Sammelverhalten von Honigbienen sein kann.


Was ist bei Deinem Bienenvolk passiert?

Vermutlich stand Dein Bienenvolk – wie Du schilderst – direkt unter einem kräftigen, unbeschnittenen Weinstock, der im Spätsommer viele überreife oder bereits platzende Trauben getragen hat. Wenn solche Beeren aufreißen – sei es durch Witterung, Gärung oder Insektenfraß –, tritt der hochkonzentrierte, süße Traubensaft aus.

Und genau das ist für Bienen interessant:
Der Saft besteht zum Großteil aus Fruktose, Glukose, aromatischen Stoffen und Fruchtsäuren – also eine perfekte Zuckerquelle, vor allem in einer Zeit, in der natürliche Trachtquellen rar sind (Herbst, Spätsommer, Dürreperioden).

Die Bienen haben diesen ausgelaufenen Traubensaft aufgenommen, ihn wie Nektar behandelt – also mit Enzymen versetzt, eingetragen, getrocknet und in die Waben eingelagert. Das Ergebnis war ein besonders dunkler, fruchtiger, aromatisch-intensiver „Honig“, der geschmacklich ganz neue Nuancen geboten hat. Und ja: Solche Einlagerungen können faszinierend sein – farblich wie geschmacklich.


Aber: Es handelt sich nicht um Honig im rechtlichen Sinn

Auch wenn das Produkt aus Deinen Waben wie Honig aussieht und sich auch so verhält, ist es rechtlich kein Honig – und darf auch nicht als solcher bezeichnet oder verkauft werden.

Das wird klar geregelt – und zwar in der:

  • Honigverordnung (HonigV)

  • und der EU-Richtlinie 2001/110/EG

Dort heißt es:

„Honig ist der natürliche süße Stoff, den die Bienen aus dem Nektar von Pflanzen oder aus den Sekreten lebender Pflanzenteile oder aus den auf Pflanzen lebenden Insekten ausscheiden, aufnehmen, umwandeln, mit körpereigenen Stoffen anreichern und in den Waben des Bienenstocks speichern und reifen lassen.“

Der entscheidende Punkt: Die Zuckerquelle muss natürlichen Ursprungs sein und von den Bienen selbst an der Pflanze gesammelt worden sein.
Traubensaft, der aus aufplatzenden Früchten stammt, ist keine natürliche Tracht im Sinne dieser Definition – und damit ist das Endprodukt kein verkehrsfähiger Honig.


Und was ist mit Sirup, Fruchtsäften oder selbstgemachten Futterlösungen?

Du stellst die völlig berechtigte Frage, ob man solche besonderen Einflüsse gezielt fördern oder sogar imitieren könnte – zum Beispiel durch:

  • Frisch gepressten Traubensaft

  • Aufgezuckerten Fruchtsaft

  • Gekochte Sirupe

  • Oder sogar spezielle Zusätze wie Ingwersud

Hier ist jedoch große Vorsicht geboten – aus mehreren Gründen:


1. Es handelt sich um künstliche Fütterung

Wenn Du Deinen Bienen solche Lösungen anbietest, ist das keine natürliche Tracht, sondern eine von außen manipulierte Zuckerlösung. Auch wenn Bienen das annehmen, ist es nicht artgerecht – und kann das Volk auf Dauer belasten.

Hochkonzentrierte Zuckerquellen stören das osmotische Gleichgewicht, und vor allem die Verstoffwechselung von ungewöhnlichen Begleitstoffen (z. B. aus Fruchtsäuren, ätherischen Ölen oder Pflanzeninhaltsstoffen) ist bei Bienen nicht vollständig geklärt.


2. Risiko durch HMF (Hydroxymethylfurfural)

Das ist ein sehr wichtiger Punkt, den Du selbst schon angesprochen hast:
Wenn Zuckerhaltiges erhitzt wird – z. B. beim Kochen von Sirupen – entsteht HMF.

HMF ist ein Abbauprodukt von Fruktose, das ab etwa 40 °C allmählich gebildet wird, besonders aber bei längerer Erhitzung oder Temperaturen über 70–80 °C.

Für den Menschen meist unproblematisch – für Bienen jedoch hochgiftig.
Schon geringe Mengen können zu Nervenschäden, Fehlverhalten und erhöhter Sterblichkeit führen.

Der empfohlene Grenzwert für HMF in Bienenfutter liegt bei max. 15 mg/kg.
Zum Vergleich: Selbst hergestellte oder unsachgemäß gelagerte Sirupe können ein Vielfaches davon enthalten, vor allem nach dem Kochen.

Daher mein klarer Rat:
Keine selbstgekochten Sirupe oder Fruchtsäfte als Bienenfutter verwenden.


 3. Unbekannte Wirkung pflanzlicher Inhaltsstoffe (z. B. Ingwer)

Auch pflanzliche Zusätze wie Ingwer, Kräuterextrakte oder andere Sudreste sind keine geeigneten Futterquellen für Bienen. Auch wenn sie „natürlich“ erscheinen, enthalten sie oft sekundäre Pflanzenstoffe, ätherische Öle oder Scharfstoffe, deren Wirkung auf das Bienenmikrobiom, die Larvenentwicklung oder das zentrale Nervensystem nicht ausreichend erforscht ist.

Was für Menschen gesund oder anregend wirkt, kann für Bienen toxisch sein.

Deshalb:
Auch naturheilkundlich gedachte Zusätze wie Ingwer solltest Du nicht ins Bienenvolk einbringen – zu viele unbekannte Variablen, zu hohes Risiko.


4. Gefahr für andere Imker: Räuberei & Honigverunreinigung

Und das ist wahrscheinlich der wichtigste Punkt, wenn es um Verantwortung in der Imkerei geht:

Sobald Du ein Volk mit ungewöhnlich süßer oder intensiver Zuckerlösung fütterst – ob Traubensaft, Sirup oder Ingwersud – kann es bei Trachtmangel oder warmem Wetter zu Räuberei kommen. Dann:

    • Fliegen fremde Völker Dein Volk an

    • Tragen den Zucker in ihren eigenen Stock

    • Und verunreinigen möglicherweise den Honig anderer Imker

Gerade im Hochsommer vor der letzten Ernte kann das schnell zu echten Katastrophen führen.
Es gibt Fälle, da mussten ganze Honigernten benachbarter Imker entsorgt werden, weil Fremdzucker oder Farbstoffe nachgewiesen wurden.

Stell Dir vor, Dein Traubensaft landet über Umwege in den Waben eines Berufsimkers in der Nachbarschaft – und er darf mehrere hundert Kilo Honig nicht verkaufen.
Die Verantwortung dafür läge dann – zumindest moralisch – bei Dir.

Beispiel: Die M&M-Honige aus Frankreich

Ein besonders anschauliches Beispiel liefert ein Fall aus dem Jahr 2012 im französischen Elsass:
Mehrere Imker wunderten sich über auffällig blauen, grünen und roten „Honig“ in ihren Waben. Nach Analysen stellte sich heraus, dass die Bienen aus einer benachbarten Biogasanlage Zuckerlösungen mit Farbstoffen aus M&M®-Produktionsabfällen aufgenommen hatten. Die Süßwarenreste waren unzureichend abgedeckt gelagert, und die Bienen hatten sich daran bedient.

Das Ergebnis war optisch beeindruckend – aber:

    • Nicht verkehrsfähig

    • Kein Honig im Sinne des Gesetzes

    • Und ein Problem für das Ansehen der regionalen Imkerei

Quelle:
Le Monde, 3. Oktober 2012, „Des abeilles alsaciennes produisent du miel bleu et vert“
https://www.lemonde.fr/planete/article/2012/10/03/du-miel-bleu-vert-et-rouge-dans-les-ruches_1769423_3244.html


Fazit: Lass die Finger von künstlichen Zuckerexperimenten

  • Ja, Du hast einen faszinierenden „Traubennektar“ erlebt – und das war sicher ein ganz besonderer Moment in Deiner Imkerlaufbahn

  • Aber: Das war ein Ausnahmefall – nicht wiederholbar ohne Risiken

  • Traubensaft, Sirup, Fruchtsäfte oder pflanzliche Zusätze wie Ingwer haben im Bienenvolk nichts verloren

  • Die Gefahr von HMF, Räuberei und Honigverfälschung ist zu groß

  • Das Produkt ist rechtlich kein Honig – und darf auch nicht in Verkehr gebracht werden


Mein Rat an Dich:

Bewahre Dir die Erinnerung an dieses Erlebnis als das, was es war:
Ein glücklicher Zufall aus Natur, Jahreszeit, Standort und einem unbeschnittenen Weinstock.

Wenn Du den Geschmack vermisst – warum nicht einfach wieder einen Rebstock pflanzen? Vielleicht wächst er in ein paar Jahren wieder so groß, dass die Bienen ganz von allein auf die Idee kommen, sich an den Trauben zu bedienen.
Aber eben nur dann, wenn es von der Natur ausgeht.


Herzlichen Dank nochmals für Deine Frage – und alles Gute für Dich und Deine Bienen!
🐝 Dein Team von bienen.info

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